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05.05.2020VG Berlin kippt 800 m²-Verkaufsflächenbegrenzung im Einzelhandel

Im Eilverfahren hat das Verwaltungsgericht Berlin am 30.04. das mit der Berliner SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung ausgesprochene Verbot der Öffnung von Verkaufsstellen mit einer Verkaufsfläche von mehr als 800 m² Verkaufsfläche gekippt und eine Öffnung der gesamten Verkaufsfläche unter Beachtung der Hygieneregeln vorläufig zugelassen. Zur Begründung hat die 14. Kammer ausgeführt, dass die maßgebliche Bestimmung der Corona-Eindämmungsverordnung in gleichheitswidriger Weise in die Berufsausübungsfreiheit der Antragstellerin (KaDeWe) eingreife. Es sei kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, warum Einkaufszentren (sog. Malls) von der Verkaufsflächenbeschränkung ausgenommen seien und Kaufhäuser nicht. Im Hinblick auf die Breite ihres Warensortiments und ihre Anziehungskraft auf Kunden, unterschieden sich Malls und Kaufhäuser nicht, so dass eine unterschiedliche Behandlung nicht gerechtfertigt sei. Damit darf das KaDeWe also mit seiner gesamten Verkaufsfläche (60.000 m²) öffnen. Gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts kann das Land Berlin noch bis zum 14. Mai 2020 Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg einlegen.

Einen Tag zuvor hat der 11. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg in drei Verfahren die vorläufige Außervollzugsetzung der Corona-Eindämmungsverordnung des Landes Brandenburg abgelehnt, soweit danach Verkaufsstellen des Einzelhandels mit einer Verkaufsfläche über 800 m² für den Publikumsverkehr zu schließen sind, es sei denn, sie reduzieren ihre zugängliche Verkaufsfläche auf bis zu 800 m². Antragstellerinnen waren ein Möbelhauskonzern, ein Warenhauskonzern und ein Anbieter von Sport- und Bekleidungsartikeln. Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, dass prinzipiell davon auszugehen sei, dass die erforderlichen Hygienemaßnahmen in kleineren Geschäften mit weniger Kunden leichter gewährleistet werden könne. Die von der 800 m²-Begrenzung ausgenommenen und insofern privilegierten Geschäfte dienten der Versorgung der Bevölkerung mit Gütern des täglichen Lebens. So diene der Kfz- und Fahrradhandel der Aufrechterhaltung der Mobilität, Buchhandelsgeschäfte dienten der Informationsgewinnung und Bildung der Bevölkerung.

Nicht nur in Berlin und Brandenburg zeigt sich ein rechtlicher Flickenteppich beim richterlichen Umgang mit der 800 m²-Verkaufsflächenbegrenzung, sondern bundesweit. Das niedersächsische Oberverwaltungsgericht hielt die Flächenbeschränkung für eine „notwendige infektionsschutzrechtliche Maßnahme“ und lehnte eine vorläufige Außerkraftsetzung der Regelung ab. In dem Verfahren haben sich vier große Möbelhäuser mit Verkaufsflächen von 25.000 bis 60.000 m² aus dem Raum Hannover gegen die Beschränkungen gewehrt. Im Saarland, Greifswald und Bremen lehnten es die Oberverwaltungsgerichte ab, auf Antrag des Kaufhauskonzerns Galeria Karstadt Kaufhof die entsprechenden Regelungen zur Verkaufsflächenbegrenzung auszusetzen. Während das Verwaltungsgericht Hamburg dem Eilantrag des Betreibers eines Sportwarengeschäfts in der Hamburger Innenstadt gegen die aus der Corona-Eindämmungsverordnung folgende Untersagung des Betriebs von Ladengeschäften mit einer Verkaufsfläche von über 800 m² stattgab, hob das Oberverwaltungsgericht Hamburg diese später wieder auf. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in einem Beschluss vom 27.04. einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eines Warenhausbetreibers gegen die Verkaufsflächenbegrenzung stattgegeben, die entsprechende Regelung der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung jedoch nicht außer Vollzug gesetzt.

Nach unserer Auffassung verstößt eine Differenzierung nach der Verkaufsfläche gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG und ist somit verfassungswidrig.

Mit der Beschränkung des Betriebs von Verkaufsstellen des Einzelhandels auf maximal 800 m² verfolgen die Verordnungsgeber einen mittelbar infektionsschutzrechtlichen Zweck. Sie gehen davon aus, dass von einem großflächigen Einzelhandelsbetrieb eine hohe Anziehungskraft mit der Folge ausgeht, dass die Straßen sowie die Verkehrsmittel des öffentlichen Personennahverkehrs stark frequentiert und dadurch die Infektionsgefahr steigt. Die Grenzmarke von 800 m² ist der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entnommen, wonach Einzelhandelsbetriebe „großflächig“ sind, wenn sie eine Verkaufsfläche von 800 m² überschreiten. Dieses Kriterium dient einer geordneten Stadtentwicklungsplanung und konkretisiert, in welchen Plangebieten großflächiger Einzelhandel gebietsverträglich möglich ist. Ein infektionsschutzrechtlicher Aspekt kommt der 800 m²-Marke nicht zu.

Die Verordnungsgeber verkennen jedenfalls, dass die befürchtete „Sogwirkung“ des großflächigen Einzelhandels nicht von der Größe der Verkaufsfläche ausgeht, sondern von der Attraktivität des Warenangebots. Die befürchtete Infektionsgefahr, die von Menschen ausgeht, die sich im öffentlichen Raum bewegen und dort aufhalten, entsteht im gleichen Maß, wenn die Anziehungskraft von attraktiven und nah beieinanderliegenden „kleinen“ Verkaufsstellen des Einzelhandels ausgeht, wie sie für die meisten deutschen Innenstädte prägend sind. Hinzu kommt – und das hat das Verwaltungsgericht Berlin zutreffend festgestellt –, dass es keinen sachlichen Grund für eine Ungleichbehandlung von Malls und Kaufhäusern gibt, beides sind großflächige Einzelhandelsbetriebe.

Die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Berlin und Hamburg sowie die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs markieren einen Wendepunkt. Während sich die Gerichte im Umgang mit Corona-Maßnahmen zunächst häufig auf eine reine Folgenabwägung beschränkten, ohne abschließend Stellung zur Rechtmäßigkeit der geltenden Maßnahmen zu nehmen, wird nun zunehmend die Rechtmäßigkeit unter die Lupe genommen. Es ist davon auszugehen, dass sich die Gerichte in Zukunft deutlich weniger Hemmnis haben, Corona-Maßnahmen für rechtswidrig zu befinden.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in der Rechtsprechung raten wir Inhabern von Einzelhandelsgeschäften mit mehr als 800 m² Verkaufsfläche dazu, eine Klage auf Zahlung einer Entschädigung ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Auch Unternehmen, deren Existenz durch die angeordneten Schließungen gefährdet ist, sollten prüfen lassen, ob ihnen aus dem Sonderopfergedanken ein Entschädigungsanspruch zusteht.

Im Falle eines Beratungsbedarfs steht Ihnen unsere Sozietät SammlerUsinger gern zur Verfügung.

Ansprechpartner sind hier Herr Rechtsanwalt Dr. Claus-Peter Martens, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Herr Rechtsanwalt Prof. Dr. Christoph Moench, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Herr Rechtsanwalt David Brosende.

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