03.06.2014Zur Wirksamkeit einer Russian-Roulette-Klausel im Gesellschaftsvertrag einer zweigliedrigen Gesellschaft
Ausgangslage
In zweigliedrigen Personen- oder Kapitalgesellschaften mit identischer Gesellschaftsbeteiligung und Stimmrechten beider Gesellschafter besteht im Falle von Meinungsverschiedenheiten wegen der Pattsituation die Gefahr einer Selbstblockade der Gesellschaftsorgane. Die angloamerikanische Kautelarpraxis hat zur Auflösung solcher Blockaden Vertragsklauseln verschiedener Art entwickelt. Sie reichen von gestuften Schlichtungsverfahren bis hin zu Klauseln, die einen schnellen und radikalen Ausstieg eines der beiden Gesellschafter durch Übernahme von dessen Beteiligung durch den anderen Gesellschafter ermöglichen. Dabei sind vornehmlich zwei Varianten bekannt:
- Russian Roulette: Jeder Gesellschafter ist berechtigt, dem jeweils anderen Gesellschafter seine Gesellschaftsbeteiligung unter Nennung eines bestimmten Preises zum Kauf anzubieten. Wenn der Angebotsempfänger dies Angebot ablehnt, ist er seinerseits verpflichtet, seine eigene Gesellschaftsbeteiligung unverzüglich zum gleichen Kaufpreis und im Übrigen gleichen Vertragsbedingungen an den Erstanbietenden zu verkaufen und abzutreten.
- (Texan-)Shoot-Out: Jeder Gesellschafter ist berechtigt, dem jeweils anderen Gesellschafter den Ankauf seiner eigenen Gesellschaftsbeteiligung zu einem bestimmten Preis anzubieten; der Angebotsempfänger ist bei Nichtannahme dieses Angebots verpflichtet, seinerseits ein Gegenangebot für den Ankauf der Gesellschaftsbeteiligung des ersten Teils zu einem höheren Kaufpreis zu unterbreiten, dass dieser nur bei Abgabe eines wiederum höheren Kaufangebots ablehnen darf.
In einer Variante übergeben beide Teile gleichzeitig jeweils dem anderen ein verdecktes Angebot zum Ankauf von dessen Beteiligung („Sizilianische Eröffnung“), wobei das Angebot mit dem höheren Kaufpreis zum Tragen kommt.
In der gesellschaftsrechtlichen Fachliteratur ist die Zulässigkeit und Wirksamkeit derartiger Klauseln unter Hinweis auf die Ähnlichkeit zu in Gesellschaftsverträgen unzulässigen Hinauskündigungsklauseln in Frage gestellt worden. Zulässig sollen sie immer dann sein, wenn die Einleitung des An-/Verkaufsverfahrens an Voraussetzungen geknüpft ist, die auch eine Zwangseinziehung eines Geschäftsanteils oder die Ausschließung des anderen Gesellschafters rechtfertigen würde. Manche vertreten die Auffassung, es reiche, wenn solche Voraussetzungen im Gesellschaftsvertrag nur irgendwie definiert seien; andere fordern, dass diese einiges Gewicht haben müssten. Wirtschaftliche Disparität der Gesellschafter allein führe nicht zu einem besonderen Schutz der betroffenen Gesellschafter. Wie bei Hinauskündigungsklauseln sei die Höhe der Abfindung für deren Wirksamkeit irrerelevant, auch die Höhe des Kaufpreises in Russian-Roulette-Klauseln sei unerheblich. Wenn die Abfindung unangemessen niedrig sei, so trete an die Stelle der vereinbarten Abfindung eine solche nach dem Verkehrswert. Bei Russian-Roulette-Klauseln sei Maßstab für die Angemessenheit des Kaufpreises.
Das Urteil des OLG Nürnberg
Soweit ersichtlich, hatte in Deutschland erstmals das Oberlandesgericht Nürnberg (Urteil vom 20. Dezember 2013 – 12 U 59/13) die Wirksamkeit einer Russian-Roulette-Klausel zu beurteilen. Es setzt sich – leider – mit den vorstehend skizzierten Auffassungen nicht im Detail auseinander. Hinauskündigungsklauseln seien grundsätzlich wirksam, wenn ihr Einsatz sachlich gerechtfertigt sei. Dies sei bei der streitigen Russian-Roulette-Klausel wegen des mit ihr verfolgten Zwecks der Lösung einer Selbstblockade der Gesellschafter der Fall. Eine Intervention der Gerichte sei nur angezeigt, wenn einer der beiden Gesellschafter ein Erwerbsangebot von Anfang an nicht finanzieren könne und den für ihn nachteiligen Vollzugsmechanismus daher vermeiden müsse. Dafür habe es im zu entscheidenden Fall keine Anhaltspunkte gegeben. Eine Notwendigkeit, einen besonderen Grund für die Auslösung des Shoot-Out-Verfahrens zu vereinbaren, bestehe nicht. Die Möglichkeit, dass sich ein ursprünglich paritätisches Verhältnis der Gesellschafter wegen einer Veränderung der finanziellen und sonstigen Situation eines der Gesellschafter verändere, rechtfertige es nicht, eine Shoot-Out-Klausel als sittenwidrig einzustufen.
Bedeutung der Entscheidung
Das Urteil des OLG Nürnberg bietet als erste Leitentscheidung zu dieser Frage Leitlinien, an denen sich die Gestaltungspraxis orientieren kann. Wegen der Vielfalt der Klauseln im Einzelnen und der jedem Gesellschafterpatt zugrundeliegenden, stets unterschiedlichen Sachverhaltsumstände, wird man die Zulässigkeit solcher Klauseln nach wie vor in jedem Einzelfall prüfen und für jeden Vertrag gesondert gestalten müssen. Während das OLG Nürnberg die Rechtsprechung der kontinentaleuropäischen Obergerichte in Wien und Paris zu solchen Klauseln auswertet, scheut es den rechtsvergleichenden Blick auf die vielfältigen Entscheidungen der Gerichte des anglo-amerikanischen Rechtskreises zu diesem Thema.
Dr. Eberhardt Kühne und Dr. Christian Rehm