Mietrecht aktuell – Sind Mietverträge unter Abwesenden bei verspäteten Annahmeerklärungen selbst nach jahrelangem Vollzug des Mietverhältnisses nicht wirksam abgeschlossen?

 

BGH, Urteil vom 24.02.2016 – XII ZR 5/15

 

Florian Schwuchow LL.M. (Melbourne)

 

Fallbeispiel

 

Vermieter (V) übersendet den von ihm unterzeichneten Text eines Gewerberaummietvertrages zur Gegenzeichnung an Mieter (M). V hat keine konkrete Frist bestimmt, innerhalb derer M dieses Angebot zum Abschluss eines Gewerberaummietvertrages annehmen und an den V zurücksenden muss. M sendet es – ohne dass besondere rechtfertigende Gründe dafür vorliegen – erst 6 Wochen später unterschrieben und kommentarlos zurück. V nimmt den Mietvertragstext der nun beide Unterschriften enthält zu den Akten, übergibt die Mietfläche in der Annahme, durch die Unterzeichnungen sei ein wirksamer Mietvertrag zustande gekommen, und M zieht ein. Zwei Jahre – in denen normal Miete gezahlt und von V auch behalten wurde – später, beruft sich V darauf, dass der Mietvertrag unwirksam sei, kündigt ihn vorsorglich und verlangt die Herausgabe. Zu Recht?

 

Rechtliche Beurteilung unter Zugrundelegung der Entscheidung des Bundesgerichtshofes

 

Sollte zwischen V und M tatsächlich kein wirksamer Mietvertrag geschlossen worden sein, kann V die Mietsache von M heraus verlangen, ohne dass es einer vorausgehenden Kündigung bedarf.

 

1. (Ausdrücklicher) Vertragsschluss durch die Unterzeichnung des Mietvertrages?

 

Da V im vorstehenden Fallbeispiel keine konkrete Frist für die Annahme seines Angebotes zum Abschluss eines Mietvertrages bestimmt hat, richtet sich die Frage, bis wann M das Angebot annehmen konnte, nach § 147 Abs. 2 BGB. Danach kann ein Angebot unter Abwesenden nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, bis zu dem der Antragende (V) unter regelmäßigen Umständen eine Annahme seines Angebotes erwarten durfte. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes beläuft sich diese gesetzliche Annahmefrist im Zusammenhang mit Gewerberaummietverträgen auf zwei bis drei Wochen, wobei im Einzelfall aufgrund konkreter Umstände eine längere oder kürzere Frist einschlägig sein kann. Da V die Annahmeerklärung des M im Fallbeispiel - ohne dass besondere rechtfertigende Gründe dafür vorlagen - erst nach sechs Wochen und somit deutlich nach Ablauf der gesetzlichen Annahmefrist zugegangen ist, wurde der Mietvertrag durch die Annahmeerklärung nicht wirksam geschlossen. Stattdessen stellt die Annahmeerklärung des M ein erneutes Angebot zum Abschluss des Mietvertrages dar, welches nunmehr durch den V hätte angenommen werden müssen. Eine ausdrückliche Annahmeerklärung des V, der den Vertrag ohne eine weitere Erklärung zu seinen Akten genommen hat, ist jedoch nicht erfolgt.

 

Zwischenfazit: Ein wirksamer (ausdrücklicher) Abschluss des Mietvertrages liegt nicht vor.

 

2. (Konkludenter) Vertragsschluss durch den Vollzug des Mietverhältnisses?

 

Scheidet ein ausdrücklicher Vertragsschluss aufgrund der verspäteten Annahmeerklärung aus, drängt sich die Frage auf, ob der Mietvertrag nicht durch schlüssiges Verhalten (=konkludent) durch den Vollzug des Mietverhältnisses geschlossen wurde. Diese Frage wurde bislang in der mietrechtlichen Praxis und auch vom Bundesgerichtshof (vgl. BGH, Urt. v. 24.02.2010 – XII ZR 120/06) ohne weitere Anforderungen bejaht. Mit seinem Urteil vom 24.02.2016 (Az. XII ZR 5/15) setzt sich der Bundesgerichtshof jedoch nunmehr in Widerspruch zu seiner bisherigen Rechtsprechung, indem er entschied, dass in Fällen verspäteter Annahmeerklärungen nicht ohne Weiteres von einem konkludenten Abschluss des Gewerberaummietvertrages durch den Vollzug des Mietverhältnisses ausgegangen werden könne. Eine aufgrund der verspäteten Annahmeerklärung (des M) erforderliche "erneute Annahmeerklärung" des ursprünglich Antragenden (V) kann nach Ansicht des Bundesgerichtshofes nur dann angenommen werden, wenn dem ursprünglich Antragenden (V) die Erforderlichkeit einer weiteren (Annahme-)Erklärung für das Zustandekommen des Mietvertrages bewusst ist oder er zumindest Zweifel am Zustandekommen des ursprünglichen Mietvertrages hat. Gehen die Parteien hingegen (wie im Fallbeispiel) von der Wirksamkeit des schriftlichen Mietvertrages aus - was beim Vollzug des Mietverhältnisses in der Regel der Fall sein wird - scheidet ein nachträglicher konkludenter Abschluss des Mietvertrages durch den bloßen Vollzug des Mietverhältnisses aus.

 

Zwischenfazit: Nach der nunmehr vom Bundesgerichtshof vertretenen Rechtsauffassung kommt ein wirksamer Mietvertrag in Fällen verspäteter Annahmeerklärungen somit auch nach jahrelangem Vollzug des Mietverhältnisses nicht ohne Weiteres konkludent zustande.

 

3. Fazit

 

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes wird angesichts der derzeit gelebten mietrechtlichen Praxis weitreichende Auswirkungen haben und ist umso bemerkenswerter, als dass der Bundesgerichtshof im Zusammenhang mit der Frage der Wahrung des Schriftformgebotes in Fällen verspäteter Annahmeerklärungen bislang ohne Weiteres von konkludenten Mietvertragsabschlüssen durch Vollzug von Mietverhältnisse ausgegangen ist (vgl. BGH, Urt. v. 24.02.2010 – XII ZR 120/06). Der in Fällen verspäteter Annahmeerklärungen bisher im Zentrum der Aufmerksamkeit stehenden Frage der Wahrung der Schriftform dürfte aufgrund der nunmehr regelmäßig anzunehmenden Unwirksamkeit der Mietverträge in vergleichbaren Fällen keine Bedeutung zukommen.

 

Für die Praxis empfiehlt es sich zum Zwecke der Rechtssicherheit beim Neuabschluss von Gewerberaummietverträgen stets eine ausdrückliche Annahmefrist mit eindeutiger Definition, dass es für die Wahrung der Frist auf den Zugang beim Erklärungsempfänger ankommt zu bestimmen. Sollten in Bezug auf bestehende Mietverhältnisse Zweifel darüber vorliegen, ob die Annahme des Angebotes zum Abschluss eines Gewerberaummietvertrages rechtzeitig erklärt und der jeweilige Gewerberaummietvertrag wirksam abgeschlossen wurde, bleibt nur ein Neuabschluss.

 

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