Auswirkungen der Corona-Virus-Krise: Rechtliche Abwehrmöglichkeiten und Entschädigungsansprüche für Einzelhandelsunternehmen

 

1. Einzelhandel in Not!

 

Laut Angaben des Handelsverband Deutschland (HDE) ist dem Nicht-Lebensmitteleinzelhandel in den letzten 4 Wochen ein Schaden von über EUR 30 Milliarden entstanden; zahlreiche Handelsunternehmen stehen Informationen des HDE zufolge kurz vor der Pleite. Eilanträge der Kaufhauskette Galeria Karstadt Kaufhof gegen die andauernden Schließungen der Länder sind vor den Oberverwaltungsgerichten in Berlin und Greifswald gescheitert.

 

Bund und Länder haben am 15. April beschlossen, dass alle Geschäfte bis zu einer Verkaufsfläche von 800 m² sowie unabhängig von der Verkaufsfläche Kfz Händler, Fahrradhändler und Buchhandlungen ihre Geschäfte unter Auflagen zur Hygiene, zur Steuerung des Zutritts und zur Vermeidung von Warteschlangen wieder öffnen dürfen. Die auf der jeweiligen Landesebene getroffenen Regelungen zur Umsetzung dieses Beschlusses unterscheiden sich in zahlreichen Details: So dürfen in Nordrhein-Westfalen unabhängig von ihrer Verkaufsfläche außer Buchhandlungen, Fahrradgeschäften und Autohäusern auch Möbelgeschäfte und Babyfachmärkte wieder öffnen. In einigen Bundesländern (Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein und Thüringen) dürfen Geschäfte mit mehr als 800 m² Verkaufsfläche öffnen, wenn sie ihre Fläche auf 800 m² begrenzen. In Bayern, Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern gilt eine Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes im Einzelhandel, in Berlin nur für den Öffentlichen Personennahverkehr. In einigen Bundesländern ist die zulässige Zahl der Personen pro Laden beschränkt (eine Person pro 10/20 m² Verkaufsfläche).

 

Die teilweise Wiedereröffnung der Geschäfte kann nicht über die Rechtswidrigkeit der Anordnung kollektiver wochenlanger Schließungen hinwegtäuschen. Mit Beschluss vom 9. April 2020, (Az. 1 S 925/20) hat der VGH Mannheim die Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlagen im Infektionsschutzgesetz offen angezweifelt. So sei die Schließung einer Vielzahl von Verkaufsstellen und Dienstleistungsbetriebe durch eine Rechtsverordnung von einer sehr beträchtlichen Eingriffstiefe. Die Intensität des damit verbundenen Eingriffs sei für jeden einzelnen betroffenen Betrieb ausgesprochen hoch. Denn der Eingriff führe für sie für mehrere Wochen zu einem weitgehenden oder vollständigen Wegfall jeglichen Umsatzes. Den Betroffenen sei es zudem praktisch unmöglich, den Wirkungen dieses Eingriffs auszuweichen. Diese sehr gravierenden Auswirkungen könnten – so der VGH Mannheim – dafürsprechen, dass die Vorschriften des § 32 S. 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1, 2 Infektionsschutzgesetz wegen Verstoßes gegen den Parlamentsvorbehalt nicht verfassungsgemäß seien.

 

Dem ist hinzuzufügen, dass es keinen sachlichen Grund für eine Ungleichbehandlung von Einzelhandelsunternehmen mit einer Verkaufsfläche bis zu 800 m² und solchen mit einer Verkaufsfläche über 800 m² gibt. Die unterschiedliche Behandlung verstößt jedenfalls gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Die Infektionsgefahr ist völlig unabhängig von der Größe der Verkaufsfläche eines Einzelhandelsunternehmens zu betrachten. Minimiert wird sie allenfalls durch bestimmte Maßnahmen wie einer Steuerung des Zutritts oder die Einhaltung von Hygienemaßnahmen. Dies kann von großen Einzelhandelsunternehmen ebenso – wenn nicht sogar besser – umgesetzt werden, als von Einzelhandelsunternehmen mit einer Verkaufsfläche unter 800 m². Diese Auffassung vertritt auch das Verwaltungsgericht Hamburg (Az. 3 E 1675/20), das mit Beschluss vom 21. April im Rahmen einer Eilentscheidung festgestellt hat, dass ein Einzelhandelsgeschäft in Hamburg mit einer Verkaufsfläche über 800 m² ohne Verkaufsflächenbegrenzung betrieben werden darf. Zur Begründung führte die Kammer insbesondere an, dass die Differenzierung anhand der Verkaufsfläche eine unverhältnismäßige Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit darstellt (Art. 12 Abs. 1 GG) und mit dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar sei.

 

Vor dem Hintergrund dieser massiven Eingriffe in die verfassungsrechtlich geschützte Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und Eigentumsfreiheit (Art. 14 GG) – durch die partiellen Öffnungen der Einzelhandelsunternehmen werden diese Eingriffe nur geringfügig abgemildert – und eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), stellen sich zahlreiche Einzelhandelsunternehmen zurecht die Frage, ob es rechtliche Abwehrmöglichkeiten gegen die Schließungsanordnungen bzw. Verkaufsflächenbegrenzungen gibt (dazu 2.) und ob Ihnen Entschädigungsansprüche zustehen (dazu 3.).

 

2. Welche rechtlichen Abwehrmöglichkeiten gibt es?

 

Die infektionsschutzrechtlichen Beschränkungen im Einzelhandel (Schließungsanordnungen, Verkaufsflächenbegrenzung, Begrenzung der Kundenzahl pro Quadratmeter Verkaufsfläche, etc.) werden häufig auf Rechtsverordnungen der jeweiligen Bundesländer gestützt (§ 32 Infektionsschutzgesetz). Grundsätzlich können Rechtsverordnungen im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens nach § 47 der Verwaltungsgerichtsordnung vor dem zuständigen Oberverwaltungsgericht innerhalb eines Jahres angefochten werden, sofern das jeweilige Landesrecht dies vorsieht.

 

Lässt das Landesrecht eine Normenkontrolle nicht zu (wie etwa in Berlin), so kommt eine Feststellungsklage nach § 43 der Verwaltungsgerichtsordnung vor dem zuständigen Verwaltungsgericht in Betracht.

 

Gegen die von zahlreichen Landkreisen erlassenen Allgemeinverfügungen sind (je nach Ausgestaltung des jeweiligen Landesrechts) Widerspruch und/oder Anfechtungsklage statthaft. Diese Rechtsbehelfe werden jedoch in den meisten Fällen keine aufschiebende Wirkung entfalten, da sie meist auf die Schutzklausel des § 28 Infektionsschutzgesetzes gestützt werden (§§ 28 Abs. 3, 16 Abs. 8 Infektionsschutzgesetz) und damit sofort vollziehbar sind. Die sog. aufschiebende Wirkung kann hier aber in einem Eilverfahren durch das Verwaltungsgericht angeordnet werden. Das Klageverfahren wird dann nachgezogen.

 

3. Existieren Entschädigungsansprüche?

 

Entschädigungsansprüche dürften in vielen Fällen durchaus begründet sein. Für die Frage, ob ein Entschädigungsanspruch im jeweiligen Einzelfall einschlägig ist, kommt es nicht darauf an, ob das staatliche Handeln rechtmäßig oder rechtswidrig war. In beiden Konstellationen können Entschädigungsansprüche greifen.

 

Das Infektionsschutzgesetz selbst bietet zwar keinen unmittelbaren Anspruch auf eine Entschädigung der von staatlichen Maßnahmen betroffenen Einzelhandelsunternehmen. Es ist insofern lückenhaft. Möglich ist deshalb ein Rückgriff auf die Entschädigungsansprüche der jeweils landesrechtlich ausgestalteten Entschädigungsregelungen des allgemeinen Polizeirechts im Falle der rechtmäßigen oder rechtswidrigen Inanspruchnahme eines nicht störenden Einzelhandelsunternehmens.

 

Schließlich können sich Entschädigungsansprüche auch aus den gewohnheitsrechtlich anerkannten Instituten des enteignungsgleichen oder enteignenden Eingriffs ergeben.

 

Sind die angegriffenen Maßnahmen rechtswidrig, so müssen betroffene Unternehmen vorrangig die ihnen eingeräumten rechtlichen Möglichkeiten nutzen, sich direkt gegen die belastenden Maßnahmen zur Wehr zu setzen (sogenannter Vorrang des Primärrechtsschutzes), um ihre Entschädigungsansprüche geltend machen zu können.

 

4. Unsere Empfehlung

 

Zunächst sollten betroffene Unternehmen die Verluste durch die Betriebsschließungen/Verkaufsflächenbegrenzungen für die Monate März und April ermitteln und eine Entschädigung beim jeweiligen Land anmelden.

 

Da zahlreiche Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit der staatlich angeordneten Betriebsschließungen bzw. Verkaufsflächenbegrenzungen sprechen, sollten sich betroffene Unternehmen mit den zur Verfügung stehenden verfahrensrechtlichen Instrumenten (Widerspruch, Anfechtungsklage, Normenkontrollverfahren, verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage, Eilrechtsschutz) zur Wehr setzen.

 

Lehnt das jeweilige Land eine Entschädigungszahlung ab, sollten betroffene Unternehmen diese klageweise vor den jeweils zuständigen Zivilgerichten geltend machen.

 

Gerne prüfen wir, welche Rechtsschutzmöglichkeiten in Ihrem konkreten Einzelfall bestehen und ob und inwieweit Ihnen möglicherweise Entschädigungsansprüche zustehen. Im Falle eines Beratungsbedarfs steht Ihnen unsere Sozietät SammlerUsinger zur Verfügung.

 

Ansprechpartner sind hier Herr Rechtsanwalt Dr. Claus-Peter Martens, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Herr Rechtsanwalt Prof. Dr. Christoph Moench, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Herr Rechtsanwalt David Brosende und Frau Rechtsanwältin Natalie Sommer.

 

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